Historie

Ein Preußisches Freikorps und seine historische Wirkung

Im Frühjahr 1813 stehen die Truppen Kaiser Napoleons I. und seiner westdeutschen Verbündeten des „Rheinbunds“ (Westfalen, Württemberger und Bayern) in Thüringen, Sachsen, Anhalt und ganz Nordwestdeutschland. Der große Kaiser und seine „Große Armee“ wurden soeben vernichtend in Russland geschlagen. Doch der charismatischste Militärführer seiner Zeit gibt nicht auf. Schon bereitet er einen neuen Feldzug gegen Russen und die jetzt mit ihnen verbündeten Preußen vor und marschiert in Mitteldeutschland auf.

Da erscheint hinter seinen Linien völlig unerwartet ein neuer Gegner. Reiter in schwarzen Uniformen schlagen in Thüringen und Sachsen und blitzschnell zu, legen Hinterhalte, überfallen Transporte, rauben Kriegskassen und entziehen sich in den dichten, dunklen Wäldern jeder Verfolgung. Schon bald nennt sie der Kaiser brigands noir, schwarze Räuber. Sie sind in seinen Augen keine Soldaten. Ihnen droht bei Gefangennahme nicht das Kriegsrecht, sondern die Galeere. Eine furchtbare Strafe, eigentlich für Schwerverbrecher. Wer sind die schwarzen Räuber?
Sie selbst nennen sich in ihrem Kampflied „Lützows wilde Jagd“ „schwarze Gesellen“:

Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?
Hör’s näher und näher brausen.
Es zieht sich herunter in düsteren Reih’n,
Und gellende Hörner erschallen darein,
Erfüllen die Seele mit Grausen.
Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt:
Das ist Lützow’s wilde verwegene Jagd.

Lützows wilde Jagd; das ist offiziell das Königlich Preußische Freikorps von Lützow, eine reguläre Truppe des preußischen Heeres. Sie sind weder Guerilleros noch Partisanen noch Irreguläre. Aber: es sind ausschließlich Freiwillige und sogenannte Selbstversorger – sie empfangen keine Löhnung, rüsten sich selbst aus kleiden sich ein. Vom Februar 1813 bis April 1814 werden im Lützowschen Freikorps gut viertausend Männer (und zwei Frauen) kämpfen. Dann wird die Truppe, wie alle anderen Freikorps auch, aufgelöst bzw. umgegliedert und als „normale“ Truppenteile in das preußische Heer integriert.

Die Gründung der Freikorps war Teil der preußischen Militärreformen nach der katastrophalen Niederlage 1806 bei Jena und Auerstedt gegen Napoleon I. Sie bildeten das militärische Pendant zu den Stein-Hardenbergschen Reformen auf der zivilen Seite. Dieser Wandel ist untrennbar verbunden mit dem preußischen Militärreformer Gerhard Johann David von Scharnhorst. Die französische Revolution von 1789 zeigte die Schwächen der alten Berufsheere auf. Jetzt kämpften plötzlich „Bürger in Uniform“ engagiert und freiwillig für ihr „Vaterland“. Das warf auch alte Gefechtstaktiken über den Haufen. Während die teilweise zwangsrekrutierten oder „gepressten“ Soldaten der Monarchien ständig beaufsichtigt werden mussten – was zur besseren Kontrolle eine geschlossene Gefechtsordnung erforderte – konnten die Freiwilligen in offenen Formationen flexibel kämpfen.

Gerhard Johann von Scharnhorst (geb. 12.11.1755 in Bordenau/Hannover, gest. 28.6.1813 in Prag), preußischer Generalleutnant und Heeresreformer. Er leitete 1813 die Vorbereitungen zum Befreiungskrieg u.a. mit einem Konzept für den operativen Einsatz des Lützower Freikorps als eine Art Partisanentruppe

Schon seit den 1750er Jahren gab es in Preußen Kavallerie-Einheiten und besondere Elite-Einheiten zu Fuß, die den sogenannten „Kleinen Krieg“ führen konnten (z.B. blitzartige Überfälle tief im gegnerischen Gebiet). Dafür wurden oftmals ausländische Truppen angeworben: ungarische Husaren, kroatische Panduren und bosnische Reiter. Doch dies blieben Ausnahmen. Die Masse des preußischen Heeres bestand bis zum Krieg mit Frankreich 1806 aus einer unbeweglichen Masse von Fußtruppen, die aus Sparsamkeitsgründen schlecht verpflegt und ausgerüstet waren, und einem völlig überalterten und wenig gebildeten adligen Offizierskorps, das auf neue Kriegstechniken kaum vorbereitet war. Man verließ sich mehr oder weniger auf den Ruhm und Mythos der preußischen Armee des Siebenjährigen Krieges (1756-63), der schon 50 Jahre zurücklag.

Nur schwer konnten sich Reformer wie Scharnhorst oder August Graf Neidhardt von Gneisenau gegen die Widerstände im Offizierskorps und bei König Friedrich Wilhelm III. durchsetzen. Durch die Konvention von Tauroggen und das darauffolgende russisch-preußische Bündnis sah Scharnhorst die Gelegenheit, ganz Norddeutschland mit Hilfe von Volksaufständen und beweglichen Reitertruppen „aufzurollen“. Vorbild war das Konzept der spanischen Guerilla von 1808 (Verkleinerungsform von guerra=Krieg, also „Kleiner Krieg“). Von ihm stammte das Konzept der „Freikorps“ – das sollten Freiwillige sein, gut motiviert, die durch ihre eigene Ausrüstung den preußischen Staat nicht viel an Ausstattung – und noch weniger an Sold – kosten sollten.

Scharnhorst bewegte Friedrich Wilhelm III. zu einer Aufstellung von freiwilligen Jäger-Einheiten (Jäger-Detachements). Daraufhin gründete in Breslau auch der Major a.D. Ludwig Adolf Wilhelm Freiherr v. Lützow (1782-1834) im Februar 1813 in Breslau ein Freikorps. Lützow war nicht der geborene Vertreter des „Kleinen Krieges“: Der ehemalige Berufsoffizier aus mecklenburgischen Adel besaß einschlägige Erfahrungen durch seine Teilnahme an den Streifzügen des Schillschen Freikorps 1809 gegen Napoleon und war einer der engsten – und scharfsinnigsten Vertrauten des Majors Ferdinand von Schills gewesen.

Bereits 1808 hatte Lützow zweimal versucht, in Ostfriesland einen Aufstand in Gang zu setzen. Aufgrund von Verletzungen war pensioniert worden. Beim Aufbau des Freikorps unterstützte ihn übrigens tatkräftig seine Ehefrau Elise, geborene Gräfin v. Ahlefeldt-Laurvig (1788-1855) anwarb. Im Freikorps nahm er vor allem „Ausländer“ auf – wobei darunter Bürger deutscher Staaten verstanden wurden, die Angehörige der Rheinbundstaaten oder gar französische Untertanen waren (wie z.B. die Einwohner des Herzogtums Oldenburg, das seit 1811 Teil des Kaiserreichs war). Nur ausgediente oder „ausländische“ Offiziere, die einwandfreie Führung nachweisen konnten, sollten das Korps führen, um nicht den Bestand an aktiven Armeeoffizieren zu schwächen.

Major Adolf von Lützow

Als Zugeständnis wurde den Lützowern erlaubt, schwarze Uniformen tragen zu dürfen. Der Hintergrund war praktischer Natur: Da die Lützower größtenteils mit ihrer Zivilkleidung, wie Arbeitsblusen, Studentenkitteln und Bauernröcken anrückten, war schwarz die einzige Farbe, mit der sich durch Einfärbung eine einheitliche Uniformfarbe herstellen ließ. Ob die schwarze Farbe nicht auch eine Anlehnung die schwarzen Uniformen des Freikorps des Braunschweiger Herzogs Friedrich Wilhelm war, der 1809 in Sachsen und Nordwestdeutschland Streifzüge gegen Franzosen und Rheinbundtruppen unternahm, ist bislang unbekannt.

Das Korps setzte sich aus allen Schichten der Gesellschaft zusammen, doch waren Handwerker, Arbeiter und Akademiker überproportional vertreten, Tagelöhner und Knechte unterrepräsentiert. Beinahe die Hälfte der Lützower stammte aus Preußen, die Mehrheit aus Mittel- und Nordwestdeutschland. West- und Süddeutsche befinden sich kaum im Korps. Auch gut die Hälfte der 113 Offiziere stammte aus Preußen, der Rest aus Sachsen, Mecklenburg, Westfalen, Thüringen und Braunschweig. Im Korps befand sich weiterhin eine Tiroler Schützenkompanie, die eine eigene Einheit bildete und eine an ihre Landestracht angelehnte grau-grüne Uniform trug. Insgesamt dienten 4.000 Freiwillige im Korps, wobei die Kavallerie eine Stärke von 400 Mann und die Infanterie von 2.000 Mann besaß.

Die Desertionsquote lag aber deutlich über der von „regulären“ preußischen Einheiten, doch ist dieses Phänomen auch von den Freiwilligenverbänden des Amerikanischen Bürgerkriegs her bekannt. Die „Schwarze Schar“ war keine Einzelformation. Es gab eine Reihe ähnlicher Einheiten: z.B. die Freischar von Schill (geführt von Heinrich v. Schill, einem Bruder Ferdinand v. Schills), das Hellwigsche Freikorps, das Ausländer-Bataillon v. Reuß oder die Russisch-Deutsche Legion, später Deutsche Legion. Doch: Warum wurde ausgerechnet das Lützowsche Freikorps so berühmt?
Vor allem wegen ihrer prominenten Mitglieder. Da war der „Freiheitsdichter“ Theodor Körner, von dem auch der Text zu „Lützows wilde Jagd“ stammt. Dann der „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn und der bedeutendste Dichter der deutschen Romantik: Johann v. Eichendorff. Und nicht zuletzt: Der Erfinder des Kindergartens – der Pädagoge Friedrich Fröbel.

Theodor Körner

Friedrich Ludwig Jahn
„Turnvater Jahn“

Gerade Theodor Körners Schicksal lieferte den Stoff, aus dem Mythen sind. Im August 1813 ist er Lützows Adjutant. Am 26. überfallen Lützower Husaren und russische Kosaken einen französischen Wagentransport unweit Gadebusch auf der Straße nach Schwerin. 38 Wagen fallen in ihre Hände. An der Spitze eines Trupps setzt Körner den fliehenden Franzosen nach. In dem unübersichtlichen Waldgelände jagt ihm eine Kugel durch den Unterleib, zerschmettert das Rückgrat und tötet ihn – beinahe – auf der Stelle. Seine letzten Worte sind (angeblich): „Da hab ich eins – schadet weiter nichts!“ Als ihn Sekunden später sein Freund Hellfritz aus dem Steigbügel befreit, in den sich ein Fuß verheddert hat, hält er bereits den Leichnam in den Händen.
War Körner der männliche Held der Lützower unter lauter Männern, wurde das Schicksal einer Lützowerin erst Recht legendenhaft überhöht. Die Potsdamer Köchin Eleonore Prochaska (1785-1813) verkleidet sich als Mann und dient bei den Lützowern als Jäger „August Renz“. Bis zum Gefecht an der Göhrde/Wendland am 16. September 1814 hält die 28jährige Tochter eines preußischen Unteroffiziers ihre Identität geheim. Beim Sturmangriff nimmt sie einem gefallenen französischen Tambour die Trommel ab und schlägt unentwegt zur Attacke – bis eine Kugel ihren linken Schenkel durchschlägt. Schwer verwundet stirbt sie am 5. Oktober 1813 in Dannenberg. 1863 errichtete man ihr dort ein obeliskähnliches Denkmal; 1889 eine Gedenksäule auf dem Alten Friedhof in ihrer Heimatstadt Potsdam. Eine weitere Lützowerin war die Bremer Zimmermeisterstochter Anna Lühring (1796-1866), die sich als „Eduard Kruse“ aus Oldenburg ins Korps eingeschlichen hatte und bis zum Schluss im Korps bleiben durfte, obwohl ihr Vater inzwischen ihren Hauptmann auf ihren Betrug aufmerksam gemacht hatte. Der Säbel „des kleinen Kruse“ befindet sich heute im Bremer Focke-Museum.

Während ihrer einjährigen Bestehens nahmen die Lützower an zahlreichen Gefechten und Schlachten teil: zuerst Streifzüge in Sachsen und Thüringen, die bis nach Bayern führten. Am 17. Juni 1813 wurde die Kavallerieabteilung während eines Waffenstillstands durch französische Intrigen beinahe völlig aufgerieben – aber schnell neu organisiert.

Im sogenannten Herbstfeldzug 1813 kämpften sie sich die Elbe flussabwärts und eroberten zusammen mit Kosaken sogar Bremen, mussten aber die Stadt umgehend wieder räumen, als französische Verstärkung anrückte. Später fochten sie, meistens mit Kosaken, in Minden, Schleswig-Holstein und am Rhein. Teile der Kavallerie waren Anfang 1814 in den Niederlanden und Nordostfrankreich eingesetzt. Nach dem Einmarsch der Verbündeten in Paris und der Verbannung Napoleons nach Elba im April 1814 wurde das Korps aufgelöst und das Infanterie-Regiment Nr. 25 und das Ulanen-Regiment Nr. 6 umgewandelt.
Als Napoleon I. im März 1815 aus der Verbannung zurückkehrte und sich umgehend wieder an die Errichtung seiner Herrschaft machte, wurden auch die beiden Lützower Regimenter wieder in Frankreich eingesetzt. Lützow selbst wurde in der Schlacht von Ligny am 16. Juni 1815 von den Franzosen schwer verwundet gefangen genommen – er war unter seinem toten Pferd eingeklemmt worden und konnte nicht fliehen. Eine gewisse Gerechtigkeit trat zwei Tage später ein, als die Lützower in der Schlacht von Belle Alliance/Waterloo am 17./18 Juni 1815 teilnahmen und ihnen der Wagen Napoleons in die Hände fiel – mitsamt einer Schatulle mit allen Orden des Kaisers. Am 7. Juli zog die Lützower in Paris ein. Diesmal ging Napoleon endgültig in die Verbannung – auf die südatlantische Insel St. Helena, während die Lützower in Erfurt Standort nahmen. Lützow selbst blieb Berufsoffizier. Für seine Verdienste im Feldzug 1815 erhielt er das Eichenlaub zum Pour le Mérite und wurde zum Oberst befördert. 1830 Generalmajor, starb er am 6. Dezember 1834 an den Folgen eines Schlaganfalls. Sein Grab befindet sich auf dem Berliner Garnisonfriedhof.

Theodor Körner, am Baum sitzend, in „deutscher Tracht“ mit schwarzem Barett und Jägerbüchse

Der 21-jährige Dichter Theodor Körner verfasste 1813 als Angehöriger des Freikorps das Gedicht über die „wilde, verwegene Jagd auf Henkersblut und Tyrannen“. Carl Maria von Weber (1786-1826), einer der größten deutschen Komponisten, schrieb dazu die Melodie.

Was glänzt dort im Walde im Sonnenschein? Hör’s näher und näher brausen. Es zieht sich herunter in düsteren Reih’n, und gellende Hörner erschallen darein, erfüllen die Seelen mit Grausen. Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt: Das ist Lützows wilde verwegene Jagd!

Was zieht dort rasch durch den finsteren Wald und streitet von Bergen zu Bergen? Es legt sich in nächtlichen Hinterhalt, das Hurra jauchzt, die Büchse knallt, es fallen die fränkischen Schergen. Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt: Das ist Lützows wilde verwegene Jagd!

Wo die Reben dort glühen, dort braust der Rhein, der Wüt’rich geborgen sich meinte. Da naht es schnell wie Gewitterschein und wirft sich mit rüst’gen Armen hinein und springet ans Ufer der Feinde. Und wenn ihr die schwarzen Schwimmer fragt: Das ist Lützows wilde verwegene Jagd!

Was braust dort im Tale die laute Schlacht, was schlagen die Schwerter zusammen? Hochherzige Reiter schlagen die Schlacht, der Funke der Freiheit ist glühend erwacht und lodert in blutigen Flammen! Und wenn ihr die schwarzen Reiter fragt: Das ist Lützows wilde verwegene Jagd!

Wer scheidet dort röchelnd vom Sonnenlicht, unter winselnde Feinde gebettet? Es zucket der Tod auf dem Angesicht, doch die wackeren Herzen erzittern nicht, das Vaterland ist ja gerettet! Und wenn ihr die schwarzen Gefall’nen fragt: Das ist Lützows wilde verwegene Jagd!

Die wilde Jagd und die deutsche Jagd auf Henkersblut und Tyrannen. Drum, die ihr uns liebt, nicht geweint und geklagt! Das Land ist ja frei und der Morgen tagt, wenn wir’s auch nur sterbend gewannen. Und von Enkel zu Enkel sei’s nachgesagt: Das war Lützows wilde verwegene Jagd!